Bagamoyo ist ein Küstenort in Tanzania. Hier kamen die Sklavenkarawanen aus dem Inneren Afrikas an, bevor die Sklaven nach Sansibar verschifft wurden und von dort aus über den Indischen Ozean in andere Länder. Übersetzt heisst Bagamoyo in etwa 'Leg dein Herz nieder'; hier sollten die Sklaven alle Hoffnung aufgeben, je wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Bagamoyo war auch vor Daressalam die erste Hauptstadt der Kolonie "Deutsch-Ostafrika". Hermann von Wißmann war hier mit seiner 'Wißmanntruppe' aus in anderen Ländern rekrutierten Askari-Soldaten stationiert. Als kaiserlicher Reichskommissar war er "zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz der deutschen Belange in Ostafrika" eingesetzt. Er verteidigte deutsche Gebietsansprüche gegen England und schlug von Bagamoyo ausgehend den sog. 'Araberaufstand' nieder. Nach dem Verlust der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg hat England das Küstengebiet eingenommen und dort 45 Jahre geherrscht.

Im Ort zeugen noch heute viele Straßen, Gebäude und Ruinen von der Geschichte. Ein Antrag auf Aufnahme auf die Liste des UNESCO-Kulturerbes für das soziale, kulturelle und architektonische Ensemble mit der Sklavenroute und den Kolonialbauten wird vorbereitet.

Wie leben die Menschen in Bagamoyo mit ihren Erinnerungen? Welche Familiengeschichten blieben zwischen den alten Gemäuern erhalten? Wir haben BewohnerInnen befragt.

Abdalah Ulimwengu, Bildhauer und Fremdenführer

Wir sind hier im alten Fort, das 1860 vom Sultan von Sansibar für Verwaltungszwecke gebaut wurde. Später wurde es als Warenlager benutzt. Die deutschen Kolonisatoren haben das Gebäude dann zu einer Garnison umgebaut und von 1891 bis 1918 benutzt. Während der britischen Kolonialzeit und bis 1974 fungierte nur ein Raum als Gefängnis. Danach zog hier eine Polizeiwache ein. Ab 1990 wurde das Gebäude mit EU-Geldern renoviert und bis vor kurzem von der Denkmalbehörde benutzt. Jetzt will eine Firma hier ein Hotel eröffnen. Eine merkwürdige Entwicklung. Trotzdem finde ich es wichtig, dass die Gebäude bewohnt und renoviert werden.

Mein Vater kam aus Kongo nach Bagamoyo und heiratete hier meine Mutter. Sie bekamen zwölf Kinder. Meine Großeltern erzählten uns Geschichten über Bagamoyo. Meine Großmutter wurde in Msole geboren, in der Nähe des Bushiri-Stützpunktes. Sie sagte, dass Bushiri brutal war und dass er die Männer zwang, gegen die Deutschen zu kämpfen. Einige flüchteten, weil sie ahnten, daß Bushiri gegen die besseren Waffen der Deutschen verlieren würde.

Mein Großvater wohnte früher an der Sklavenroute nach Kigoma. Hin und wieder sah er, wie Gruppen von vielleicht 50 Sklaven vorbei getrieben wurden. Sie waren in Ketten gelegt und mussten schwere Lasten tragen. Er kannte die Stellen, an denen die Sklavenkarawanen ruhten, bevor sie in die Stadt weiterzogen. Wir hatten Angst vor den Arabern. Sie haben uns in Ruhe gelassen, aber wir mussten still halten.

Bagamoyo war eine Zwischenstation. Die meisten arabischen Gebäude stehen auf Sansibar, nicht hier. Auch die Engländer haben in Tanganyika nur wenig investiert. Sie haben uns unsere Ressourcen weggenommen und in ihre hauptsächlichen Interessengebiete Kenya und Uganda gebracht. Die Deutschen aber haben viel gebaut, weil sie hier eine richtige Kolonie gründen wollten. Der Großteil der Infrastruktur von Bagamoyo ist von dieser Zeit.

1868 kamen die Brüder des Heiligen Geistes als Missionare nach Bagamoyo und bauten eine Kirche. Der Sultan von Sansibar hat ihnen praktisch ganz Bagamoyo geschenkt. Es gab Probleme, weil den afrikanischen Familien ihr Land weggenommen wurde. Erst nach der Unabhängigkeit gab eine Landreform das Land zurück.

Wir in Bagamoyo erinnern uns gut an Hermann von Wißmann, weil er hier mehrere Verteidigungstürme hat bauen lassen, von denen allerdings nur noch einer steht.

Meine Mutter erzählte mir, dass noch während der deutschen Kolonialherrschaft Sklaven gehalten wurden, und selbst noch in der Zeit, als die Engländer hier waren. Der Sklavenhandel ging insgeheim weiter, obwohl der Sklavenmarkt auf Sansibar offiziell geschlossen worden war. Die Sklaven wurden nach wie vor zur Arbeit gezwungen und erhielten nur Kleidung und Essen. Es ist schrecklich, wenn Menschen als Ware behandelt werden.

Die Deutschen haben so hohe Steuern eingeführt, dass wir es uns nicht mehr leisten konnten, Arbeiter für unsere Farmen einzustellen. Ihre eigenen Arbeitskräfte haben die Deutschen aus anderen Regionen wie Kigoma hierher gebracht, meist unter Zwang. Diese Strategie war schlau, denn wenn du Menschen aus der Umgebung einstellst, können sie wieder nach Hause gehen, wenn ihnen die Arbeit nicht gefällt. Menschen, die von weit weg kommen, kündigen nicht so leicht - sie sind Tag und Nacht für dich da. Sie können auch nicht miteinander solidarisieren, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen.

Ich komme aus einer moslemischen Familie, aber heute interessiert mich mehr das Leben unserer Vorfahren in der Zeit vor jeglicher Fremdherrschaft. Ich habe Interviews mit älteren Menschen geführt - auch mit meinem Großvater - und sie erzählten mir von den schönen Traditionen, wie sie zu ihren Göttern gebetet haben und wie gut sie Probleme lösen konnten, ohne in die Kirche oder Moschee zu gehen. Leider ist diese alte Kultur fast in Vergessenheit geraten.

Herrscher, die dich kolonisieren, zerstören deinen Glauben und deine Kultur. So ist es ihnen gelungen, aus uns Christen und Moslems zu machen. Wenn du dann deine eigene Kultur verloren hast, kannst du besser kontrolliert werden. Leute wie Livingstone oder Carl Peters und selbst die Mission haben den Kolonialismus vorbereitet. Mit dem Christentum wurde uns das europäische Leben, die europäische Musik und alles andere überstülpt. 1886 wurde die erste Kirche gebaut. 1888 kamen die Deutschen.

Geschichte ist wichtig. Wenn Du nichts von der Vergangenheit weisst, bist Du wie ein Baum ohne Wurzeln.

Mwajuma Masenga, Sekundärschullehrerin

Hier ist Boma, das alte Kolonialregierungsgebäude. Viele Gebäude sind aus der Zeit, als die Weißen hier waren. Leider werden sie heute nicht genutzt, sondern stehen schon lange leer und verfallen.

Meine Großeltern wohnten im Distrikt Bagamoyo, allerdings weiter weg vom Dorf. Die Menschen hatten damals furchtbare Angst vor den Sklavenjägern und rannten immer weg, wenn diese kamen.

Bagamoyo ist eigentlich reich an Naturschätzen. Wir haben Mineralien wie Salz und eine gut funktionierende Land- und Fischwirtschaft. In der Zeit der Sklaverei konnten die Menschen ihrer Arbeit nicht nachgehen, alles lag brach, weil sie Angst hatten. Die Sklaven wurden in Ketten gelegt. Sie haben hungern müssen, und viele starben unterwegs. Als die Zeit der Sklaverei zu Ende ging, war es eine große Erleichterung für uns.

Hier eine kleine Anekdote aus der Zeit: damals litten auch meine Großeltern an Hunger. Eines Tages, als sie nichts mehr zu essen hatten, beschlossen sie, zu Nachbarn zu gehen, um dort um Essen zu bitten. Auf dem Weg dorthin hörten sie Tiergeräusche und dachten sofort an einen guten Braten. Doch es war ein Löwe, der sie angriff, und sie flüchteten zurück nach Hause. Am nächsten Tag wagten sie sich wieder aus dem Haus, und dieses Mal hatten sie mehr Erfolg. Ein Ladenbesitzer gab ihnen ein Kilo Reis und ein Kilo Bohnen.

Die Kolonialzeit hatte positive und negative Seiten. Die Deutschen haben hier große Gebäuden und Schulen gebaut, sie haben uns die Idee der Schulbildung gebracht, sie legten Verkehrswege an und haben uns gezeigt, wie wir größere Ernten bekommen.

Auf der Negativseite steht die Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß. Diejenigen, die Macht besitzen, haben immer die besseren Chancen. Immer noch bekommen reiche Kinder mehr Bildung als arme - diese Denkweise ist unser Kolonialerbe.

Ich habe in der Schule im Geografieunterricht gehört, dass die Deutschen gern hart arbeiten. Sie hatten gute Ideen, aber in der Umsetzung machten sie Fehler. Sie sagten, daß sie uns Zivilisation bringen, dabei wollten sie uns ihre Kultur aufzwingen. Sie haben vergessen, daß wir eine eigene, reiche Kultur und unseren Glauben hatten. 'Zivilisation' bedeutete für sie, daß wir unsere afrikanische Kultur vergessen und die europäische annehmen sollten. Es war leichter, uns zu kolonisieren, wenn sie uns zuerst kulturell und mental änderten.

Hermann von Wißmann war ein strenger Soldat. Er hat versucht, die Sklaverei zu beenden - er wollte ja selbst regieren. Wer glaubt, er hätte alles aus rein humanistischen Gründen gemacht, täuscht sich, denn er führte ja ein neues ausbeuterisches System ein.

Der Kapitalismus kümmert sich nicht um Grenzen. Der koloniale Handel umfasste Sklaven, Waren und Bodenschätze. Sie haben uns Bildung gebracht, gleichzeitig uns unsere Ressourcen beraubt. Wir Afrikaner mussten für wenig Geld oder ganz umsonst für die Kolonialisten arbeiten.

Im Wahehe-Krieg haben die Afrikaner gegen die Deutschen gekämpft. Sie wehrten sich gegen die Eindringlinge, die ihnen das Land wegnehmen wollten. Im Maji-Maji-Krieg haben Afrikaner rebelliert, weil sie zur Arbeit auf den deutschen Plantagen gezwungen wurden. Beide Kriege haben wir verloren, weil wir die schlechteren Waffen hatten. Wir haben nicht vergessen, dass viele Afrikaner in diesen Auseinandersetzungen ihr Leben lassen mussten. Es braucht noch viel Zeit, bis diese Erinnerungen verblassen.

Für die Zukunft denke ich, dass wir die positiven Seiten unserer Kulturen zusammenbringen sollten, in der traditionellen Musik und den Künsten der Schwarzen und der Weißen. Denn es ist ja nicht so, dass die weiße Kultur nur gut ist und unsere nur schlecht. Wenn wir bereit sind, unsere Kulturen zu mischen, dann kann daraus noch was viel Besseres werden. So können wir voneinander lernen und neue Freundschaft schließen.

Samahani Kejeri, Führer im Museum der katholischen Mission

Mein Großvater war ein reicher Landbesitzer und Sklavenhalter. Früher wurde Sklavenhandel ganz öffentlich betrieben. Man konnte einfach auf den Markt gehen und sich einen Sklaven kaufen. Ich weiss, dass mein Großvater um 1897 herum etwa 20 Sklaven hielt, die auf den Feldern arbeiteten. Meine Mutter kam 1907 auf die Welt. Die Sklaven mussten sie pflegen, waschen und kleiden.

Meine Eltern haben mir auch von der deutschen Kolonialzeit erzählt. Diese Periode war gut und schlecht zugleich. Die Gesetze waren sehr streng, und es herrschte Ruhe und Ordnung. Meine Mutter erzählte, dass sie das Haus verlassen konnte ohne zuzuschließen. Es gab damals keine Diebe. Bei einem Tötungsdelikt wurden Zeugen verhört, und dann trommelte man im Dorf alle zusammen. Am 'Hanging Tree' wurde der Täter öffentlich aufgehängt, um alle anderen zu warnen. Für Aufruhr gab es 25 Peitschenhiebe auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude Boma.

Was ich nicht gut finde, ist die Tatsache, dass die deutschen Gesetze Unterschiede zwischen Schwarz und Weiss machten. Wenn Fremde regieren, können sie alles kontrollieren, selbst die Einflussreichsten. Für alles braucht man dann eine Erlaubnis.

Hermann von Wißmann war sicherlich ein starker Soldat, sonst hätte er Bushiri nicht besiegen können. Bushiri wurde festgenommen und in Pangani öffentlich aufgehängt; seine Mitkämpfer hier in Bagamoyo. Wahrscheinlich mussten danach die befreiten Sklaven den deutschen Regierungssitz putzen.

Auch erzählten mir meine Eltern, dass alle aufstehen mussten, wenn der deutsche Gouverneur vorbeiging. Einmal war mein Vater - damals noch ein Kind - auf dem Weg von der Schule nach Hause. Als der Gouverneur kam, blieb er am Straßenrand sitzen. Daraufhin hat er zwei Peitschenhiebe und eine Schelte bekommen.

Die Berliner Konferenz, bei der Afrika aufgeteilt wurde, fand 1884/1885 statt. Davor war unsere Küste im Besitz des Sultans von Sansibar, danach in deutscher Hand. Es gab eine Münze, die auf der einen Seite eine arabische Schrift zeigt, auf der anderen steht der Name der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft. Die gleiche Münze galt für Kenia, Uganda und Tanganyika - man musste sie nur umdrehen.

1918 haben die Deutschen Tanganyika an England verloren. 1965 brachte ein ehemaliger deutscher Soldat seine alte Uniform mit und vermachte sie unserem Museum. Er sagte: "Ich bin zwar damit einverstanden, dass die Engländer jetzt regieren, aber die Leute sollen ruhig die deutsche Uniform sehen."

Wir müssen uns mit der Vergangenheit beschäftigen, damit wir die Gegenwart besser verstehen. Wenn Tanzania eine andere Geschichte gehabt hätten, wären wir heute vielleicht reich. Früher konnten nur die Söhne der Chiefs studieren, jetzt muss jedes Kind in die Schule gehen. Vielleicht werden in zehn Jahren die Universitäten voll sein. Es gibt immer noch Wunden aus der Geschichte heraus, aber meiner Meinung nach sollten wir jetzt nach vorne schauen.

Ich höre es sehr gerne, daß ihr in Hamburg plant, dem hundertjährigen Jahrestag des Maji-Maji-Krieges in 2005 zu gedenken. Ich schlage vor, jedes Jahr daran zu erinnern. Und eines Tages können wir dieses Ereignis zusammen begehen.

Bagamoyo, ehemalige "Kaiserstrasse"

 

Samahani Kejeri zeigt an einer Bildgeschichte den Leidensweg der Sklavin Siwema von Bagamoyo nach Sansibar.

In einer Museumsvitrine ein altes Photo mit Erläuterung: "Um 1905 herum war das Leben nicht schlecht in Bagamoyo. Die Straßen waren sauber, es gab viele Brunnen und viel Freizeit. Aber die Deutschen fühlten sich überlegen."

Die deutsche Kolonialuniform im Missionsmuseum

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