Eigentor zur Welt: Hamburg und die Kolonien

Der Hamburger Hafen war Drehscheibe des deutschen Kolonialismus. Wir leben in einer interkulturellen Stadt, die sich rühmt, weltoffen zu sein, dennoch gibt es hier kaum eine kritische, öffentliche Reflektion über die koloniale Erblast.

Seit dem 17. Jahrhundert gründeten hanseatische Kaufleute Niederlassungen in Übersee, um interkontinental mit Rohstoffen und Sklaven zu handeln. Viele dieser 'Faktoreien', vor allem in Afrika, wurden im 19. Jahrhundert zu kolonialen Stützpunkten des Deutschen Reiches, das die beanspruchten Gebiete im Ersten Weltkrieg wieder verlor.

In der vergleichsweise kurzen deutschen Kolonialzeit war die Ausbeutung an Mensch und Natur besonders krass in den afrikanischen Ländern. Dort setzte die Hamburger Kaufmannselite Einheimische als TrägerInnen und HausdienerInnen, als Arbeitskräfte auf Plantagen und im Straßen- und Eisenbahnbau ein - meist unter Zwang und menschenunwürdigen Umständen. Viele der Unterworfenen verhungerten oder wurden getötet, wenn ihre Arbeitskraft nachließ.

1904-08 unterstützten die um ihre Pfründe bangenden Kaufleute die erbarmungslose Niederschlagung der Aufstände der Herero und Nama in 'Deutsch-Südwestafrika' (Namibia). Heute wird der Befehl des Generals Lothar von Trotha zur systematischen Tötung zurecht als Völkermord gewertet. In diesen drei Jahren des für 'Kaiser und Reich' geführten Kolonialkrieges starben Zehntausende AfrikanerInnen. In den daraufhin landesweit eingerichteten Konzentrationslagern kam nahezu jeder zweite afrikanische Gefangene ums Leben. Zu den Kriegsgewinnlern gehörten wieder Hamburger Handelsfirmen und Reedereien, die eine weitgehende Monopolstellung als Proviantlieferanten und für Militärtransporte besaßen.

Aufmerksame Stadterkunder finden noch heute Spuren der Kolonialgeschichte auf Hamburger Straßen: Ehrenmäler, Straßennamen, die auf die ehemaligen Handelskolonien verweisen, Wohn- und Kontorhäuser mit entsprechend exotischen Fassadenmotiven, die imperiale Ansprüche auf Menschen und Naturreichtümer dokumentieren, und Speicher, in denen 'Kolonialwaren' umgeschlagen wurden. Und jüngst führte uns der Streit um den sog. 'Tanzaniapark' in Hamburg-Jenfeld historische Sedimente vor Augen, die Kontinuitäten über

das Nazireich bis heute aufweisen. 'Tanzaniapark'

Die Situation von MigrantInnen und Flüchtlingen in der Freien und Hansestadt Hamburg, dem 'Tor zur Welt', ist heute geprägt von einem fremdenfeindlichen Alltag, einer diskriminierenden Behördenpraxis und einer Abschiebepolitik, die kein Pardon kennt und die neuerdings nicht einmal vor Asylberechtigten Halt macht. Zu diesem Bild passt, dass minderjährige Flüchtlinge wie Kriminelle behandelt werden und ein sogenanntes 'Ein- und Ausreiselager' auf der 'Bibby Altona' eingerichtet wurde, wo 'Personen ohne Bleiberechtsperspektive' (Behördenjargon) auf engstem Raum und weitgehend entrechtet hausen müssen, Tür an Tür mit dem Landeskriminalamt. Flüchtlinge werden nur noch als ordnungspolitisches Problem behandelt. Doch der Versuch, Flüchtlingsströme zu kanalisieren und damit die Auswirkungen von Kriegen beherrschbar und unsichtbar zu machen, wird langfristig nicht gelingen. Die vielfache Ausbeutung der armen Länder wird schließlich zum politischen und wirtschaftlichen Eigentor.

Die Kolonialgeschichte belastet noch heute die Beziehungen zwischen Hamburg und den afrikanischen Staaten wie deren StaatsbürgerInnen. Wenn Hamburg die häufig behauptete Weltoffenheit einlösen will, ist es dringend notwendig, dieses bei uns weitgehend unbekannte Kapitel weiterhin zu erforschen und öffentlich zu diskutieren.

Im kulturellen Austausch mit anderen Ländern, in künstlerischen Kooperationen kann Versöhnung und Völkerverständigung praktiziert und demonstriert werden. Im öffentlichen Raum sollen KünstlerInnen intervenieren, neue Spuren hinterlassen und Zeichen setzen gegen Erinnerungspraktiken, die uns das Vergessen über koloniale Verbrechen lehren. Für die Hafencity sollte ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben werden für einen Nachdenkmalraum, der uns an die gesellschaftliche Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung erinnert, ein Erinnerungsspeicher für das kollektive Gedächtnis.

Weiterführende Literatur:

Heiko Möhle (Hg.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika - eine Spurensuche in Hamburg, Hamburg 1999

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