In seinem Buch Deutsche Kolonien schreibt Uwe Timm1: "Im öffentlichen Bewußtsein ist die deutsche koloniale Vergangenheit heute ­ wenn überhaupt ­ noch immer in der Weise präsent wie vor 1945: Als Legende vom tüchtigen Deutschen, der in Afrika Straßen und Eisenbahnen gebaut und den Schwarzen das Einmaleins beigebracht hat. Daß diese Legende so hartnäckig weiterlebt, läßt sich wohl auch damit erklären, daß man wenigstens auf diesem Gebiet glaubt ­ nach den Entsetzlichkeiten des deutschen Faschismus ­ anderen Völkern etwas vorauszuhaben.

Der neue deutsche Staat hatte eben kein Algerien, Indonesien oder Mocambique, wo Franzosen, Holländer und Portugiesen versuchten, mit allen Mitteln, auch mit Folter und Terror, Unabhängigkeitsbewegungen niederzuschlagen. Auch die Deutschen haben Kolonialkriege geführt, und zwar mit Erfolg ­ nur fünf Jahrzehnte vorher. Die Kolonialmächte standen sich in nichts nach, was die Ausplünderung von Land und Leuten anging, und auch nicht in der Brutalität, mit der sie jeglichen Widerstand der Unterdrückten niederschlugen."

Schon im 16. Jahrhundert entdeckten europäische Königshäuser und Kaufmänner überseeische Kontinente als lukrative Handelsplätze. Hanseatische Kaufmänner gründeten an den Küsten Afrikas und Lateinamerikas zahlreiche 'Faktoreien', um Waren gegen Rohstoffe und Sklaven zu tauschen. Im interkontinentalen Dreieckshandel zwischen Afrika, Lateinamerika und Europa, mit Menschenhandel, Plantagen und Fabriken wurden sie reich und reicher. Doch damit nicht genug: die afrikanischen Zwischenhändler zwischen dem Landesinneren und der Küste sollten ausgeschaltet werden, Land eingenommen und die BewohnerInnen zu Zwangsarbeit auf Plantagen rekrutiert werden. Die europäischen Mächte finanzierten Entdeckungs- und Forschungsreisen, um Ressourcen und Handelswege zu erkunden. Mit sog. 'Schutzbriefen' wurden in betrügerischer Art und Weise riesige Landstriche Häuptlingen und Volk weggenommen. Das einträgliche Im- und Exportgeschäft veränderte auch die städtische Infrastruktur zu Hause: in Hamburg beispielsweise entstanden neue Stadtteile, Hafenanlagen und Industriegebiete; in Fabriken schuftete das neue Industrieproletariat in der Produktion von Tauschwaren für die Kolonien und verarbeitete Rohstoffe, die aus Übersee kamen.

Mitte des 19. Jahrhundert brachen wegen der kolonialen Vereinnahmung Unruhen und Aufstände aus. Die deutschen Afrikahändler riefen die Reichsregierung zu Hilfe und baten um Truppenentsendung in die rebellierenden Regionen. Bismarck zweifelte zunächst am volkswirtschaftlichen Nutzen von Kolonien, doch 1884 hatten ihn dann doch die zahlreichen Petitionen der mächtigen Kaufleute überzeugt: Kriegschiffe und eine 'Schutztruppe' wurden bereitgestellt, Flaggen gehisst und Treueschwure geleistet. Deutschland 'erwarb' nach und nach 'Deutsch-Südwest-Afrika' (heute Namibia), 'Deutsch-Ostafrika' (heute Tanzania), Togo, Kamerun, Kiautschou in China, Samoa und 'Deutsch-Neuguinea'.

Gewinne privatisieren, Verluste vergesellschaften hieß die Devise der Kaufleute: die hohen Kosten, die die Kolonialverwaltung, die 'Schutztruppe', Transporte und Infrastruktur verursachten, bezahlten der Staat, die Steuerzahler und die afrikanische Bevölkerung.

Die kaiserlichen Truppen schlugen Aufstände brutal nieder; sie zogen mordend und brandschatzend durch die Dörfer. In die Geschichte eingegangen sind vor allem die Bekämpfung des 'Boxeraufstandes' in China (1900), der Völkermord an den Herero und Nama (1904-1907) in 'Deutsch-Südwest' und Niederschlagung des Maji-Maji-Auftstandes in 'Deutsch-Ostafrika' (1905-1906), bei denen hunderttausende AfrikanerInnen getötet wurden.

Am Ende des Ersten Weltkrieges musste Deutschland seine Kolonien mit dem Versailler Friedensvertrag an England und Frankreich abtreten. Die neuen Kolonialherren überließen jedoch Ländereien und Plantagen den alten Großgrundbesitzern. In Namibia wird erst heute eine Landreform diskutiert, die eine zumindest teilweise Enteignung der weißen Farmer vorsieht.

In der Nazizeit war mit der Losung 'Volk ohne Raum' auch die Zurückeroberung der alten Kolonien gemeint. Gedenkveranstaltungen an kolonialen Denkmälern, Kranzniederlegungen und 'Kolonialwochen' zeugen öffentlichkeitswirksam von solchen Bestrebungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten selbst die eifrigsten Kolonialschwärmer ihre Träume vergraben. Doch bis heute wirken 'Traditionsverbände' und 'Afrikavereine', die bei ritualisierten Treffen an Denkmälern alten Traditionen huldigen.

Die deutsche Kolonialmacht, die vor allem afrikanische Länder mit äusserster Brutalität überzog, und die Beteiligung der Kaufmannselite an der Ausbeutung von Mensch und Natur ist weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Doch die Folgen der kolonialen Herrschaftsgeschichte belasten noch heute die Beziehungen zwischen Deutschland und den afrikanischen Staaten wie deren StaatsbürgerInnen.

Es ist dringend notwendig, dieses bei uns weitgehend unbekannte Kapitel zu erforschen und öffentlich zu diskutieren. Es geht darum, Vorurteile abzubauen, zu versöhnen, um künftig einen guten Umgang miteinander pflegen zu können.

 

Übersicht Kolonialgeschichte, Site einer Münchner Initiave der Grünen und Rosa Liste zur Straßenumbenennung:

www.sigi-benker.de/texte/eine_welt/kolonialswa.html

Weitere Links zu Einzelaspekten der Kolonialgeschichte

1Timm, Uwe: Deutsche Kolonien, Köln 1986

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