Echos unter der Weltkuppel
Eine unerhörte Sound-Erkundung
am und im Hauptgebäude der Universität Hamburg
mit Jokinen, Künstlerin und Gordon Uhlmann, Historiker
 
Hamburgs Stadtraumausprägung folgte stark und lang anhaltend kolonialen Impulsen mit weiter wirkenden Strukturen, Schichten, Spuren - und unüberhörbaren,
dennoch unerhörten und überhörten Echos. Im urbanen Raum finden sich koloniale Bedeutungssphären bis heute - amtlich verlautbart - verklärt oder verdrängt, gar restituiert.
 
Der 'vergessliche' Umgang mit den unerhörten Folgen kolonialen Handel(n)s für Hamburgs Stadtcharakter ist Kernbestandteil von Regierungspolitik, öffentlichem Selbstverständnis und Marketing des Stadtstaats, seiner tonangebenden Entscheidungsträger und Institutionen. Das organisierte Vergessen ist bisweilen laut bis lärmend, so zielt es darauf ab, aufbegehrendes Erinnern zu übertönen und stumm zu machen.
 
Wie und wo treffen wir auf jenes Rauschen des Mythos vom 'Tor zur Welt'? Wer gibt den Ton an im zentralen universitären Raum, einst begründet als Kolonialinstitut? Was vernehmen wir im Gewölbehall kolonialer Mythen-Bildung? Hören wir das Gedächtnisecho jener, die kolonisiert, abgewiesen, vertrieben wurden von der imperial ausgreifenden Handelsstadt? Einen Widerhall der Widerständigen, Aufbegehrenden, Aufständischen? Postcolonial universum rumours?
 
Im Laufe der erkundenden Sound-Performance, akustisch kartierenden Gebäude-Ausdeutung in elf szenischen Stationen hören wir in diesen vielstimmigen Raum hinein, decodieren auch seine leeren Sockel und Nischen - und versuchen, im vorgefundenen Gewölbe Unerhörtes zu erinnern: im 100. Jahr der Grundsteinlegung für das Kolonialinstitut und das Vorlesungswesen (1909) - und genau an jenem Jahrestag, als am 31. Oktober 1968 der AStA der Hamburger Universität beschloss, die flankierenden Kolonialdenkmäler des Hauptgebäudes zu stürzen und die Stadt von den kolonialen Sockelhelden Wissmann und Dominik zu räumen.
 
Material
Wasser, Baumwolltuch, Asche, Cocos-Löffel und Piassavabürste aus Brasilien, Handtrommel, Signalpfeife, Flüstertüte, Ghettoblaster, Wachswalzenaufnahmen und andere
Tonträger der Vergangenheit, Fotos, Textkarten

 
Echos unter der Weltkuppel
 
 

1 x Trommelschlag
 
Präludium
 
Hamburg hallt wieder von kolonialen Taten,
Koloniale Echos unüberhörbar, doch überhört
Organisiertes Vergessen, Verstummen
Verheerendes Übertönen
gegen aufbegehrendes Erinnern
Amtliches Verlautbaren ­
verklärend, verdrängend, verehrend
Im Gewölbehall kolonialer Mythen-Bildung
Hören wir das Gedächtnisecho der Kolonisierten?
Den Widerhall der Widerständigen,
den Aufschrei der Aufständischen?
Echos unter der Weltkuppel
Unerhört?
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
Szene 1 Südfront
Der Forschung - Der Lehre - Der Bildung
 
Hamburg - Edmund-Siemers-Allee 1
Universität Hauptgebäude
Grundstein von 1909 - 100 Jahre
Be-gründet als Kolonialinstitut
Kuppelbau mit stattlichem Bauch und Eingangs-Fries
DER FORSCHUNG DER LEHRE DER BILDUNG
Stufen, prachtvolle Säulen
im Vorfeld unbestandene Sockel, ungeahnte Nischen.
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
Szene 2 Westfront/Nordfront
Wissen Ist Macht
 
1. Fassade West
Putto schaukelt
 
Hoch oben gemeißelt:
Wissen ist Macht.
Welches Wissen?
Wessen Macht?
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
2. Flügelbau West
Dominik-Denkmal
 
Auslegen des Baumwolltuchs
 
Hans Dominik (1870-1910), Kolonialoffizier, genannt der 'Schreckensherrscher von Kamerun', der niederwarf den Aufstand der Makaa am oberen Nyong 1909
 
Denkmaltafel:
(herrisch)
"Nicht rechts geschaut, nicht links geschaut, vorwärts - geradeaus, auf Gott vertraut und durch!"
 
Kurzes Pfeifen mit der Pfeife
Maxim-Maschinengewehr-Sound
 
Zitat Hans Dominik:
(herrisch)
"Es mag wunderbar klingen, aber mit jedem Volkstamm in Kamerun ist es, solange er noch nicht die deutschen Waffen gespürt hat, gerade wie mit jedem jungen Hund, der noch nicht die Staupe gehabt hat. Die Neger müssen wissen, daß ich der Herr bin und der Stärkere, und zwar hart und unerbittlich, so daß ihnen für alle Zeiten das Auflehnen vergeht."
 
Enthüllung Dominik-Denkmal 1935:
(feierlich, pathetisch)
"Für das früher im deutschen Kamerun befindliche Denkmal Dominiks gäbe es keinen geeigneteren Platz als Hamburg, denn von hier aus ist die Erwerbung Kameruns wesentlich ausgegangen, ...So stehen wir vor diesem Denkmal ... durchdrungen von der Überzeugung, dass eine erneute koloniale Betätigung Deutschlands jetzt weit dringender denn je ist."
 
Pfeifen
Maxim-Maschinengewehr-Sound
 
Oktober 1968:
Mit einer langen Kette wird das Denkmal in studentischer Aktion gestürzt.
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
3. Fassade Nord
Merkur/Hermes
 
Hermes, wissender Gott des Handels, gewinnender Gott der Kaufleute, behelmt und beflügelt nebst Schale des üppigen Ertrags. Hermes der Überbringer, der Schutzherr des Transports.
Was wird in Kaufmanns-Gottes Namen gebracht nach Afrika? Was abtransportiert?
Und wie?! Was versichert Hermes? - soeben?
 
1 x Trommelschlag

Baumwolltuch in der Größe des Wissmann-Denkmalsockels, Photos von Stand und Fall
 
1 x Trommelschlag
 
Szene 3 Ostfront
Verbrannte Erde
 
Denk Mal
Hermann von WissMann, Kolonialgouverneur in Ostafrika
Terrain Ostfront Mitte ­ 10 Schritte - überwölbt vom Anblick der Kuppel
Wissmann-Denkmal aufgestellt 1922 hier (stampfend), gestürzt 1968
Ersterrichtung 1909 Daressalam ­ 100 Jahre kolonialer Koloss
Eingang Afrika Institut, gestifteter Flügel
eine Umreißung und Auslegung -
mit Baumwolle
im Sockelmaß des Kolonial-Monuments
durch Jokinen
jetzt
Oktober 2009
 
Wissmann Kolonialratschläge für die Schutztruppe:
(herrisch)
"Keine Tätigkeit ist geeigneter, den Europäer für die richtige Behandlung der Neger zu erziehen als die militärische. ... Er wird bald erkennen, dass er in den Negern eine noch in den Kinderschuhen steckende Rasse vor sich hat.
... möge man sich ... als Richtschnur den Grundsatz dienen lassen, dass der Wilde erst die Überlegenheit unbedingt anerkennen muss, bevor man ihm Güte zeigt, da er letzteres sonst leicht als Schwäche auslegen würde."
 
Asche aufs Tuch streuen
 
Hermann von Wissmann: Ratschlag zum "Angriff auf eine Afrikanische Siedlung":
"In Ostafrika sind die meisten Dörfer befestigt, ... [Da gilt] die Möglichkeit, Trinkwasser abzuschneiden oder den Feind durch Anzünden der engstehenden, mit Grasdächern versehenen Hütten... herauszutreiben... Da ... die Granaten des Schnellfeuer-Geschützes zum Zünden nicht ausreichten, [nutzten wir...] mit Erdöl angefüllte Fischblasen zur Sprengmasse... Da man ein befestigtes Dorf nach der Einnahme meist niederzubrennen hat, ist aus praktischen Gründen stets eine Plünderung geboten."
 
Wissmann Denkmalrede 1922:
(feierlich, pathetisch)
"Das Wißmann-Denkmal ist das Denkmal Deutsch-Ostafrikas. .... Das Denkmal hat nunmehr in Hamburg eine zweite Heimat gefunden.... bis es eines Tages wieder hinausgehen kann in eine deutsche Kolonie.
Dem deutschen Volke muß immer wieder gezeigt werden, daß es ohne Kolonien nicht leben kann."
 
Denkmalweihe 1935:
(herrisch)
"Er war der große Landsknechts- und Soldatenführer der kolonialen Kampfzeit der Deutschen in Afrika. Es braucht, auch heute, mehr denn je 'Führer' von der Art Wissmanns."
 
Studentische Denkmalstürzer 1967:
(rebellisch)
"Aufruf ... zum verspäteten Denkmalsturz des Kolonialismus: Am 8.8.1967 um 17 Uhr stürzt im Garten der Hamburger Universität ... ein berühmt-berüchtigter Kolonialherr von seinem Sockel. Sein Name ist Hermann von Wißmann, kenntlich am gezwirbeltem Bart und am herrischen Blick über den eingeborenen Schutztruppenkrieger zu seinen Füßen hinweg."
 
1992 - eine Schülergruppe besichtigt das Denkmal im Keller der Sternwarte in Bergedorf und stellt fest:
"... von Staub und Erde verdreckt ... Der früher mit Ruhm zugeschüttete Wissmann lag jetzt ... mit Sperrmüll in einem Abstellraum.“
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
Szene 4 Vestibül
Der Forschung - Der Lehre - Der Bildung 2
 
Der Forschung
 
(sachlich)
"Im Januar 1913 unternahm Herr Prof. Dr. Borchling, Direktor des Deutschen Seminars, eine koloniale Studien- und Informationsreise nach Den Haag. Von Herrn Prof. Meinhof wurden im Sommersemester die Einrichtungen ... der École coloniale ... besichtigt. ... Der Referent an der Zentralstelle und Dozent am Kolonialinstitut, Herr Regierungsrat Zache, Kolonial-Bezirksamtmann a.D., hat von April bis Oktober 1913 eine Studienreise nach Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun unternommen."
 
Rektor-Rede 1943-35 Jahre Kolonialinstitut -
Prof. Adolf Rein:
(pathetisch)
"Die Hanseaten gelten als zäh, fest, ausdauernd und weitsichtig. ... Denn auch die Welt draußen - wir denken besonders an Afrika, ... - kann auf die Dauer nicht auf die deutsche Leitung verzichten."
 
Titelblatt "Das Koloniale Hamburg"
 
Der Lehre
 
Bekanntmachung, betreffend das Kolonialinstitut,
15. Juli 1908:
"- Prof. Voigt: Demonstrationen von Ausrüstungen für botanisches Sammeln auf Reisen. 1mal 2 Stunden
- Prof. Glage und Prof. Ollwig: Verwendung und Zubereitung der Nahrungsmittel in den Tropen einschl. Fleischbeschau (Kochkursus). 4mal 2 Stunden
- Dr. Hambruch: Naturgeschichte der Kulturrasse
- Major Lequis (Berlin): Koloniale Kriegführung"
 
Hagenbeck regt Vorlesungen über Haus- und Nutztiere in den Tropen an.
 
Widmung 1908:
Das Kolonialinstitut soll eine Zentralstelle schaffen, "in welcher sich alle wissenschaftlichen und wirtschaftlichen kolonialen Bestrebungen konzentrieren."
 
Georg Thilenius, Völkerkunde, lehrend am Kolonialinstitut, zur 'Arbeiterfrage' im kolonialen Raum:
Der "Eingeborene ist in den Tropen der Arbeiter des Weißen und wird gegenüber dem importierten stets der billigere sein."
 
Prof. Meinhof, Seminar für Afrikanische und Südseesprachen an die Deutsche Kolonialgesellschaft, Sektion Hamburg, 1925:
"Sehr geehrter Herr Regierungsrat,
folgende Eingeborene aus unseren Kolonien habe ich ermitteln können, aber die Adresse nicht immer erfahren können, weil die Leute befürchten, ausgewiesen zu werden.
- Hamiel bin Ferhani aus Daressalam. Ich brauche ihn für Unterrichtszwecke.
- Daniel, soll in St. Georg wohnen.
- Schlüter, soll in Hammerbrook wohnen. Seine Entfernung würde wohl nützlich sein.
- Anumu, der Fabrikant des bekannten Zahnpulvers aus Togo.
- Frl. Bruce aus Togo
- Minsil, ... Er soll auf dem Steinweg wohnen.
- Peter Makembe, Duala, Anwesenheit eigentlich kaum erwünscht, ... sehr schwer zu fassen ..."
 
 
Der Bildung
 
Bestimmungsschreiben 1907:
Das Kolonialinstitut soll die Ausbildung von Kaufleuten, Pflanzern, Beamten und sonstigen Personen, welche in die deutschen Schutzgebiete zu gehen beabsichtigen" gewährleisten.
 
"Die enge Verbindung des Instituts mit unserer Kaufmannschaft lässt ... erwarten, dass auch unsere jungen Kaufleute, ... sich der wirtschaftlichen Ausbildung an dem Kolonialinstitut unterziehen werden, um nutzbringender in den Kolonien und auch für die Kolonien zu arbeiten."
 
Eröffnungsrede 1908:
Das Kolonialinstitut "macht die Beamten schneller brauchbar und tüchtig" und "erspart dem Reiche Auslagen."
 
Meinhof, Professor für Kolonialsprachen am Kolonialinstitut:
"Für den Verwaltungsbeamten in unseren Kolonien ist eine Kenntnis der Volksvorstellungen [der Eingeborenen] absolut unerlässlich. ... die überwiegende Mehrzahl [wird] ... von Zaubervorstellungen und der Sippe beherrscht."
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
Szene 5 Foyer
Die Gründerväter
 
Werner von Melle, Hamburger Senator, Initiator des Kolonialinstituts und der Universität, Rede bei der Eröffnungsfeier des Hamburgischen Kolonialinstituts 20. Oktober 1908:
(feierlich/pathetisch)
"... an keinem anderen Platze gibt es eine so große Anzahl von Männern, die unsere Kolonien und andere Gebiete über See aus jahrelanger eigener Anschauung kennen. ... Möge das Hamburgische Kolonialinstitut ... allezeit segensreich wirken zum Wohle des gesamten deutschen Reiches, zur Ehre Hamburgs, zur Förderung der Wissenschaft, wie der praktischen Arbeit über See! Mit diesem Wunsch erkläre ich im Namen des Senats das Hamburgische Kolonialinstitut für eröffnet."
 
Klopfen mit dem Kokoslöffel an der Melle-Büste
 
Karl Rathgen, Professor der ersten Stunde am Kolonialinstitut, erster Rektor der Universität Hamburg,
Eröffnungsrede 1908:
(feierlich/pathetisch)
"...die Berliner Kongo-Konferenz von 1884/85 eröffnete die neue Zeit. ... In raschem Wettlauf dehnten die kraftvolleren Völker Europas den Bereich ihrer Herrschaft über weite, halb oder ganz unkultivierte Gebiete aus. ... Es entstand sofort die ... Aufgabe, diese ... nutzbar zu machen ... Über weite Gebiete hin sollten einzelne Europäer eine große Überzahl Farbiger in Ordnung halten. ... Mit der Entstehung europäischer Unternehmertätigkeit kann die Ordnung des Grundbesitzes, der Gewinnung von Mineralien, der Ausbeutung der Wälder sich nicht selbst überlassen bleiben."
 
Klopfen mit dem Kokoslöffel an der Rathgen-Büste
 
Albert Wigand, Professor und NS-Propagandist, Rektor der Universität 1931/32; Widmungsplakette an der Wigand-Büste, 1933:
(huldigend)
"Ihrem Führer und Rektor - Die Hamburger Studentenschaft"
 
Wigand regt einen Lehrstuhl für 'Wehrwissenschaft' an:
(herrisch)
Alle praktische Wehrbarmachung der Jugend "ist die geistige Aufrüstung, ... die Weckung und Förderung der kriegerischen Instinkte, die in jedem jungen Menschen angelegt sind, sofern er nicht von der Zivilisation in seinen natürlichen Anlagen verdorben worden ist."
 
Wigand-Büste gestürzt 30. Januar 2007
Photo am Sockel
 
Klopfen mit dem Kokoslöffel am Sockel der fehlenden Wigand-Büste
 
 
1 x Trommelschlag

1 x Trommelschlag
 
Szene 6 Garderobe
Die Beförderer
 
Alfred Beit, Hamburger Milliardär, Diamantenkönig mit Minen in Südafrika, Freund von Cecil Rhodes, Vorstand von De Beers, Profiteur des Kolonialismus.
 
Die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung - Beit stiftet 2 Millionen Reichsmark.
 
Afrikanische Minenarbeiter bei De Beers, eingesperrt in Lagern. umzäunt mit Wellblech, Stacheldraht - entwürdigt, geschunden.
 
Klage von Tengo Jabavu, Mitgründer des South African Native College , 1908:
"Alfred Beit hat kein Geld für die Bildung von Afrikanern hinterlassen, obwohl sie für ihn Diamanten ausgegraben und aus ihm einen reichen Mann gemacht haben."
 
Unter den weiteren Förderern Hamburger Kolonialhandelshäuser und ihre Erben wie Godeffroy, Laiesz und:
 
Adolph Woermann, Hamburger Kaufmann und Reeder, Präses der Handelskammer, Rede im Berliner Reichstag, 4. Februar 1885:
(selbstbewusst/herrisch)
"Ich bin ... der Meinung, dass der Verkauf von Spirituosen nicht günstig auf die Neger wirkt... Wollen wir aber heute ... aus reiner Liebe zu den Negern den Schnapshandel nach Afrika verbieten, so würden wir einen wichtigen Zweig des deutschen Exporthandels bedeutend schädigen ... Ich meine, dass es da, wo man Zivilisation schaffen will, hier und da eines scharfen Reizmittels bedarf..."
 
1 x Trommelschlag

Wasser vom Brunnen im Treppenhaus mitnehmen.
 
2 x Trommelschlag
 
Szene 7 Über Der Stadt
Maji-Maji. Wasser Gegen Gewehrkugeln
 
Armillarsphäre
 
Krönend auf dem Vordach die Armillarsphäre, nautisch-welt-erfassendes Messgerät mit Äquator und Wendekreis, Himmelskugel europäischer Expansion, Berechnungsringe für ausgreifenden Handel.
 
Maji-Maji
 
ostafrikanische Klage:
"Der Karani (der Steuereintreiber) ist schlimmer als ein Löwe. Der Löwe holt mein Huhn, lässt mir aber den Ugali (den Brei); der Karani holt auch noch den Ugali dazu."
 
Utenzi vom MajiMaji-Aufstand, verfasst 1906 von Abdul Karim, Koranschullehrer in Lindi:
 
"Herr, wir haben es satt,
Täglich zur Arbeit gezwungen zu werden.
Lasst uns sterben, die Zweifel beenden.
Ja, das ist unsere Entscheidung!
 
Erst hacken wir die Felder,
Abends ernten wir Baumwolle,
Dann sollen wir Häuser bauen
Und schließlich Steuern zahlen.
 
Das ist eine schwere Last.
Wir besprachen die Sache
Und planten den Aufstand."
 
Umgießen des Wassers
 
Maji-Maji
Aufstand und Krieg in Ostafrika gegen die deutsche Kolonialherrschaft, entfacht 1905. Ideen von Maji Maji, verkündet durch den Heiler Kijikintile Ngwale, magisch verheißene Wirkung: Wasser als Schutz gegen Gewehrkugeln. Ermutigen den Aufstand, vereinigen im Kampf gegen die deutsche Kolonialmacht. Maji Maji, lebendiges Symbol des Widerstands in Ostafrika, gegen Zwangsarbeit, Landraub und Vertreibung.
 
Orte des Widerstands/Orte des Aufstands (seit 1885):
Kibata, Kilwa, Kisiwani,
Kalenga, Kiswere, Kikole,
Kivinje, Kiswenga, Kilosa
Büni, Bagamoyo
Chagga, Samanga,
Matumbi, Mahenge, Mbunga,
Mohgoro, Marealle, Minkindani,
Lindi, Liwale,
Ngoni, Nyasa
Pangani, Ruipa
Tschole, Tabora,
Ungoni, Ubena, Upangwa
Umatengo, Haya, Uhehe,
Kibata, Kilimanjaro
 
2 x Trommelschlag

2 x Trommelschlag
 
Szene 8 Großer Hörsaal
Echos Unter der Weltkuppel
 
Betretener Hörsaal ­ Nachlesung
 
Namibia - es ist das Jahr 1931. 13 Jahre zuvor hieß das Land noch 'Deutsch-Südwestafrika'. Hans Lichtenecker, Holzbildhauer und Steckenpferd-Anthropologe, bekommt von den Universitäten Berlin, Tübingen und München den Auftrag, die angeblich 'aussterbenden Rassen' der 'Buschmänner', also der indigenen Völker der Kalahari-Region, zu kartieren.
 
Richtig: die Anzahl der Überlebenden ist klein seit dem Völkermord an den Herero und Nama und seit der kolonialen Vertreibung der Ureinwohner San von ihrem Weideland, seit der massenhaften Zwangsarbeit.
 
Rassenwahn - ebenso in der Hamburger Fakultät, just hier in diesem Hörsaal.
 
Lichtenecker richtet sich in der Polizeistation in Keetmannshoop ein. Er zwingt Menschen, Blutproben und Haarproben abzugeben, fertigt Farbstreifen nach Hautfarben an, legt Masken auf, und nimmt - mit dem Phonograph - die klicklautenden Stimmen der San auf Wachswalzen auf. Die unter Zwang angelegten Masken machen Angst, rufen Erinnerungen wach an das koloniale Trauma
 
Eine Photographie, ein Gewaltakt:
Der große, breite Lichtenecker mit Hut, das Gesicht im Schatten, hält einer zierlichen Frau ihre Maske entgegen. Das Maskengesicht, platziert in grellem Sonnenschein in der Bildmitte. Die Frau sitzt auf der Erde, eine Hand versucht, den Körper zu stützen, die andere schützend vor der Brust, der Mund offen, die Miene entsetzt. Lichteneckers Schatten berührt sie. Schreit sie?
 
Was die Menschen tatsächlich in seinen Phonograph sprechen, interessiert ihn nicht, und so entgeht ihm, dass sie 'Nachrichten an Deutschland' vermitteln. Ihre Botschaften sind Zeugnisse lang anhaltender Unterdrückung, von extremer Armut und Hunger, aber auch von Stolz und Widerstand. Diese sind hier und heute zum allerersten Mal in Deutschland zu hören.
 
Situation: Lichtenecker sitzt im Raum auf einem - wie er schreibt - 'Thron' hinter einem Tisch. Ihm gegenüber stehen die Menschen, die er aufnehmen will. Sie sprechen in einen Tonrichter hinein.
 
Es sprechen:
Kanaje
Jan Rooi
Hendrick Ludwig
Piet Frederick
Frederika Traugott
Margarita Swartbooi
David Goliath
und 50 weitere Personen aus den Völkern der San, Herero und Nama.
 
Ghettoblaster - Originalstimmen von historischen Wachswalzen aufgenommen:
 
(zornig)
"Mein Baas hat mir gesagt, dass ich hierher kommen soll. ... Man hat mich in ein Zimmer geschickt und Mund, Nase und Gesicht zugeschmiert, so dass ich dachte, ich würde keinen Atem mehr bekommen und müsste sterben. ... Das Zeug sieht so aus wie ich, bloss er kann nicht sprechen."
'Ein Bondelzwaart',
Polizeistation Keetmannshoop, 1931
 
(zornig)
"Den Leuten wurden die Köpfe in Ton gepackt,
sie werden in ein anderes Land gebracht,
sie werden betrachtet von Königskindern
Und was wird dann mit ihnen geschehen?"
Kanaje, Lichtenstein Farm, Namibia, 1931
 
(zornig)
"Wir werden schon wieder misshandelt,
wir werden in eine Büchse gestopft.
Ich werde da nicht rein sprechen.
... Jetzt schreie ich nur wie ein Hund,
der in einer Metallfalle steckt."
Kanaje, Lichtenstein Farm, Namibia, 1931
 
(klagend, zornig)
"Ich bin Jan Rooi. ...
ich leide noch unter der Zeit, als die Deutschen
hier waren, und dann kamen die Buren.
Ich diene weißen Frauen...
Uns wurden Rationen gegeben,
aber sie wurden noch geteilt...
Wie ich hier so stehe,
wie soll ich noch den Abend überleben?"
Jan Rooi, Polizeistation Keetmannshoop 1931,
Zylinder 32
 
(klagend, zornig)
"Meine dreizehn Kühe wurden mir
mit Gewalt weg genommen
und die fünf Pferde und die fünf Stiere auch
mein Hund, der bei mir war, ist mir weg gedörrt
und jetzt stehe ich da mit leeren Händen."
Kanaje, Lichtenstein Farm, Namibia, 1931
 
(klagend, zornig)
"Wir, die Namas sprechen, aber über was?
... Wie sie uns behandeln werden, weiß ich nicht... Wegen all dieser schlechten Dinge stehe ich
unter Druck, so ist es mit mir."
Hendrick Ludwig, Polizeistation Keetmannshoop,
1931, Zylinder 33
 
(klagend, weinend)
"... Gebt uns Kleider, wir sind nackt ...
Gib mir eine Waffe, weil ich vor Hunger sterbe.
Ich bin hier im Gefängnis."
Kind ?, Polizeistation Keetmannshoop 1931,
Zylinder 35
 
(klagend)
"Oh Gott, gib mir einen vollen Bauch
gib mir ein gutes Leben,
gib mir Rechte auf Erden
...
wir sind hungrig - ich und die anderen,
die bei mir sind.
Gott, mach mein Leben besser."
Kanaje, Lichtenstein Farm, Namibia, 1931
 
(zornig)
"Ich wurde missbraucht
wie ein Hund des weißen Mannes,
ich habe genug,
warum sind diese Ovatua hierher gekommen
und ihre Väter mit zahnlosem Mund?
Und wem gehören diese Dinger und
wessen Land war das hier?"
Kanaje, Lichtenstein Farm, Namibia, 1931
 
2 x Trommelschlag

 
2 x Trommelschlag
 
Szene 9 Remember:
You‘ve Got To Have Freedom
 
Das Gebäude verlassen.

2 x Trommelschlag
 
Szene 10 Epilog
Vestibül
 
"Der europäische Kolonialismus in Afrika kann mit einem ... Begriff beschrieben werden: Ausübung von Macht.... Die Instrumente waren die üblichen. Schwert, Bibel, das lügnerische Traktat.
 
Im Lauf der Jahre verwandelte sich das Schwert in ein Maschinengewehr. Die Bibel blieb die Bibel, bekam aber einen Anhang von Geboten, welche der Internationale Währungsfonds und die Weltbank an die Tore der armen Welt nagelten. Das lügnerische Traktat blieb, was es war. Verräterisch. Zu nichts verpflichtend.
 
Die Geschichte der Befreiung Afrikas ... Von diesem Punkt an führte ein anderer Weg hinaus. Sein Ende hat noch niemand gesehen."
 
Henning Mankell: Die flüsternden Seelen
 
 

 

Photos
Stilla Seis, Jokinen, Gordon Uhlmann
 
Dank an
Anette Hoffmann
Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums Berlin

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